Autologe Lymphgefäß-Transplantation
1980 hat Prof. Dr. Dr. Rüdiger G.H. Baumeister im Klinikum Großhadern (Ludwig-Maximilians-Universität München) nach experimentellen Vorarbeiten weltweit erstmals Lymphgefäß-Transplantationen durchgeführt. Dabei hat er Lymphbahnen aus einer gesunden Region des Körpers entnommen und anschließend so implantiert, dass sie – wie eine Umgehungsstraße – Lymphflüssigkeit aus dem Ödem um die lokale Unterbrechung des Lymphsystems herumleiten. In den letzten Jahren hat Dr. Gunther Felmerer, Leiter des Bereichs Plastische Chirurgie am Universitätsklinikum Göttingen, diesen Therapieansatz praxisorientiert weiterentwickelt. Da hier körpereigene Transplantate verwendet werden, heißt diese Transplantation „autolog“.

Entnahme von Lymphgefäßen

Abb. 1 - Entnahme von Lymphgefäßen

Vernähte Inzision zur Entnahme

Abb. 2 - Vernähte Inzision zur Entnahme

Inzision am Arm

Abb. 3 - Inzision am Arm

Inzision am Hals

Abb. 4 - Inzision am Hals

Das Transplantat wird eingebracht

Abb. 5 - Das Transplantat wird eingebracht

Transplantierte Gefäße am Arm

Abb. 6 - Transplantierte Gefäße am Arm

Transplantierte Gefäße am Bein

Abb. 7 - Transplantierte Gefäße am Bein

An der Innenseite unserer Oberschenkel haben wir etwa zwölf bis 20 nahezu parallel verlaufende Lymphbahnen. Unter der Voraussetzung, dass der Lymphabfluss in diesem Bereich intakt ist, können dort zwei oder drei Lymphbahnen mit einer Länge von bis zu 30 cm entnommen (Abb. 1 und Abb. 2). und zur Reparatur von Defekten des Lymphgefäßsystems in anderen Körperregionen verwendet werden.

Nach der Transplantation am Arm benötigen die Patienten keinen Kompressionsstrumpf, es sei denn, dass sich doch noch eine Schwellung bildet. An den Beinen ist in den ersten Wochen Kompression notwendig. Mit der Lymphgefäß-Transplantation können auch Lymphödeme im Kopf-Hals-Bereich erfolgreich behandelt werden.

Arm-Lymphödem
Zur Prävention bzw. Behandlung eines Arm-Lymphödems nach Entfernung von Lymphknoten im Achselbereich verläuft der Eingriff – schematisch ausgedrückt – folgendermaßen: An der Stelle, wo das Transplantat an eine im Oberarm aufsteigende Lymphbahn verbunden wird, legt der Operateur einen Schnitt – „Inzision“ (Abb. 3). Auf der anderen Seite, wo das Transplantat mit einem Lymphgefäß im Halsbereich verbunden wird, das zum Venenwinkel führt, wird eine zweite Inzision gelegt (Abb. 4). Im Venenwinkel mündet das Lymphgefäßsystem in den Blutkreislauf ein. Zwischen diesen beiden Einschnitten wird ein dicker Redon-Drainage-Schlauch wie ein Tunnel unter das Hautgewebe eingeführt. Dann wird das zarte, am Oberschenkel entnommene Lymphgefäß in den Schlauch eingebracht (Abb. 5). und der Schlauch anschließend entfernt.

Auf diese Weise kann das Transplantat spannungsfrei im Gewebe platziert werden (Abb. 6). Das Vernähen der haarfeinen Lymphgefäße geschieht unter dem Operations-Mikroskop mit einer etwa 40-fachen Vergrößerung. Die Naht besteht aus drei bis fünf Einzelknopfnähten. Das Nahtmaterial ist so dünn, dass man es mit dem freien Auge kaum sehen kann. Es muss später nicht entfernt werden, da es vom Körper vollständig resorbiert wird.

Bein-Lymphödem
Bei der Lymphgefäß-Transplantation zur Prävention bzw. Behandlung eines Bein-Lymphödems wird das Transplantat am gegenüberliegenden Oberschenkel nur nahe beim Knie durchtrennt. Oben an der Leiste bleibt es mit dem Lymphgefäßsystem verbunden. Zuvor wurde mit einem Redon-Drainage-Schlauch ein Tunnel von der rechten Seite der Leiste zur linken gebildet.

Nachdem das „gestielte“ (an einer Seite nicht abgetrennte) Transplantat vorsichtig in den Tunnel eingezogen wurde, kann es mit einer aufsteigenden Lymphbahn im ödem-gefährdeten bzw. ödematösen Bein vernäht werden. Von da an kann die Lymphe des aus dem Bein über die gegenüberliegende Leiste abfließen (Abb. 7).

Ergebnisse
Die Lymphgefäß-Transplantation ist eine „kausale Therapie“, da sie die Ursache des Lymphödems – die Lymphbahn-Unterbrechung – beseitigt. Und die Ergebnisse können sich – bei einer Nachbeobachtungszeit von mehr als zehn Jahren – durchaus sehen lassen: ein Drittel der behandelten Patienten benötigt postoperativ weder Manuelle Lymphdrainage (MLD) noch Kompression. Ein weiteres Drittel bedarf zwar nach wie vor der Kompressionstherapie, aber wesentlich seltener als früher. Und bei dem Rest hat sich nichts geändert.

Die Lymphgefäß-Transplantation ermöglicht besonders Frauen nach Brustkrebs eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Die Transplantation kann hier das Tragen des Kompressionsstrumpfs überflüssig machen und nahezu „normale“ Handverhältnisse erzielen.

Bei anlagebedingten Lymphödemen („primären Lymphödemen“) ist das Lymphgefäßsystem in der Regel in größeren Abschnitten krankhaft verändert. Dann liegt keine definierte lokale Blockade vor, die durch eine Lymphgefäß-Transplantation überbrückt werden könnte. Laut Prof. Baumeister kann eine Transplantation aber bei einseitiger lokalisierter Fehlanlage (Hypoplasie, Aplasie) des Lymphgefäßsystems im Becken- oder Leistenbereich angezeigt sein.

Bei sekundären (infolge von Op, Bestrahlung, Verletzungen etc. entstandenen) Lymphödemen sollte zuvor mindestens sechs Monate lang eine intensive konservative Therapie (MLD und Kompressionstherapie) durchgeführt worden sein.

Die besten Ergebnisse bringt in der Regel eine Lymphgefäß- Transplantation, die zwischen einem halben und einem Jahr nach Auftreten des Lymphödems durchgeführt wird. In vielen Fällen kann damit sogar ein vollständiger Rückgang – also eine Heilung – des Ödems erzielt werden. Besteht das Ödem bereits so lange, dass Veränderungen im Gewebe (Narbenbildung, Fettgewebsvermehrung etc.) eingetreten sind, ist zwar eine Besserung des Zustandes, jedoch keine vollständige Heilung mehr möglich.

Zusätzliche Informationen

Vor einer Transplantation von Lymphgefäßen muss an dem Bein, dem das Transplantat entnommen werden soll, durch Anamnese (Erhebung der Krankheitsgeschichte), klinische Untersuchung und eine Lymphsequenz-Szintigraphie eine bestehende, aber noch nicht manifeste („subklinische“) Schwäche des Lymphtransports ausgeschlossen werden. Falls dort eine verminderte Transportkapazität vorliegt, kann die Entnahme der für die Transplantation benötigten Lymphbahnen an dem „Spender-Bein“ ein Lymphödem hervorrufen. Dann wäre das Problem nur von einer Körperregion auf eine andere verlagert worden.

Falls Tumor-Rezidive, zusätzliche periphere Lymphgefäß-Veränderungen, massive Strahlenschädigungen oder Narben vorliegen, darf keine Lymphgefäß-Transplantation vorgenommen werden („Kontraindikation“).

Eine frühzeitige Transplantation kann das Ödem schon innerhalb weniger Tage nach der Operation völlig zum Verschwinden bringen. In den meisten Fällen dauert es jedoch einige Wochen oder Monate, bis eine vollständige Ödemreduktion erreicht ist. Bei fortgeschritteneren Ödemen ist zwar eine Verbesserung, jedoch keine Beseitigung des Lymphödems mehr möglich.

Derzeit werden Lymphgefäß-Transplantationen als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen nur im Universitätsklinikum Göttingen durchgeführt. Der damit erforderliche Klinik-Aufenthalt beträgt etwa zehn Tage, davon drei bis vier Tage mit Bettruhe. Leichtere sportliche Aktivitäten sind nach zwei Wochen möglich, eine Wiederaufnahme von Haushalts- und Berufstätigkeit kann nach drei bis vier Wochen erfolgen.

Die Lymphgefäß-Transplantation zur Beseitigung eines Lymphödems ist ein medizinisch notwendiger Eingriff. Darum übernehmen die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten dafür. Patienten können sich mit einer Überweisung in der Ambulanz des Universitätsklinikums Göttingen vorstellen. mehr »

Terminvereinbarungen:
montags von 10 bis 14.30 Uhr (Frau Häusner): Tel: 0551/39-10883, Telefax: 0551/39-12199

Universitätsmedizin Göttingen – Bereich plastische Chirurgie
Abt. Unfallchirurgie, plastische und Wiederherstellungschirurgie
Robert-Koch-Strasse 40
37075 Göttingen


Bilder 2, 3, 4 und 5: Dr. Gunther Felmerer